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  Herausforderung Luftverteidigung in allen Bereichen

 

Die Luftverteidigung muss man differenzieren nach den Einsatzräumen Land oder See, im Nah- und Nächstbereich oder als flächendeckender Schutz großer Räume und nach den Zielkategorien Flächenflugzeuge, Drehflügler, unbemannte Luftfahrzeuge aller Größen oder Raketen. Es gibt die klassische Unterscheidung zwischen der bodengestützten Luftverteidigung und einer luftgestützten Bekämpfung durch Jagdflugzeuge. Aus den Dimensionen der Einsatzräume ergibt sich oft eine Differenzierung nach Teilstreitkräften. Vor allem aber besteht eine großeVielfalt der Wirkmittel (Effektoren) wie Rohrwaffen, Raketen, Stör- und Täuschmitteln (Jammer, IR-Nebel) Laserwaffen und auch passive Maßnahmen wie Schutz (Bunker, Tarnung) oder Auflockerung muss man zu den Verteidigungsmitteln zählen. Die Bekämpfung funktioniert nicht ohne Sensoren zur Aufklärung und Führung mit Radar, Infrarotsensoren, optischen Mittel, Feuerleiteinrichtungen für Koordination und Befehlsführung. Auch Kommunikationsmittel dürfen nicht fehlen..

 

Die Luftwaffe verfügt für die fliegende Luftverteidigung im Augenblick über 140 EUROFIGHTER in vier taktischen Luftwaffengeschwadern (TLG) : TLG 71 in Wittmund, TLG 73 in Laage bei Rostock, TLG 31 in Nörvenich und TLG 74 in Neuburg/ Donau. Die TLG 33 und 51 fliegen den TORNADO für Luft-Boden-Aufgaben. Der Haushaltsausschuss hat die Beschaffung von 38 EUROFIGHTERN der Tranche 4 genehmigt, um damit die älteren Maschinen der ersten Tranche zu ersetzen. Die sind nämlich auf die ursprünglich für den Jäger 90 konzipierte Luftverteidigungsrolle beschränkt und lassen sich nicht mehr auf die neue Mehrfachrolle als Jäger und Jagdbomber umrüsten. Grundsätzlich sollen künftig alle vier EUROFIGHTER-Geschwader sowohl für die Luft-Luft als auch die Luft-Boden Rolle einsetzbar sein und werden deshalb seit einiger Zeit als Taktische Luftwaffengeschwader bezeichnet. Die Anpassung der deutschen EUROFIGHTER an die Luft-Boden Rolle als Jagdbomber ist aber ziemlich schleppend verlaufen im Gegensatz zur Royal Air Force. Es gibt gegenwärtig  immer noch eine gewisse Arbeitsteilung, die darin besteht, dass die Geschwader in Wittmund und Neuburg primär noch die Jägerrolle wahrnehmen und der Verband in Nörvenich als erster die Luft - Boden Rolle realisieren soll. Das TLG 73 in Laage hat vor allem einen Ausbildungsauftrag, ist aber natürlich auch für reguläre Einsatzrollen befähigt. Laage wird auch als Zivilflughafen mitgenutzt Wittmund und Neuburg stellen auch die Alarmrotten für den luftpolizeilichen Auftrag. Das hat sich seit STARFIGHTER-Tagen nicht geändert. Die EUROFIGHTER sollen auch ein neues in der Entwicklung befindliches Mehrzweck Radar erhalten sowohl für den Luft--Luft als auch für den Luft-Boden Einsatz. AIRBUS macht auch Werbung für eine Version zur elektronischen Kampfführung und Bekämpfung der gegnerischen Luftverteidigung, die bislang noch die SEASD - TORNADO in Jagel wahrnehmen.

 

Ob der als Jäger ausgelegte EUROFIGHTER unbedingt ein idealer Jagdbomber werden kann, sei mal dahingestellt. Seine Konstruktion ist halt mehr für den agilen Luftkampf ausgelegt und nicht für die Rolle als Arbeitspferd zur Beförderung schwerer Bomben- und Raketenlasten. Seine Leichtbauweise macht ihn für Belastungen als maritimes Trägerflugzeug ungeeignet. Die EUROFIGHTER sollen bis 2050 im Einsatz bleiben. Als Nachfolger ist natürlich das deutsch-französisch-spanische FCAS-Projekt vorgesehen. Für den Luftverteidigungseinsatz stehen drei Waffensysteme zur Verfügung: jeder EUROFIGHTER hat eine 27 mm-Maschinenkanone von MAUSER (heute Rheinmetall), deren Munitionsmagazin aber schon nach wenigen Sekunden Dauerfeuer verschossen wäre. Standardbewaffnungen sind der Flugkörper IRIS für den Nahbereich und METEOR für die Distanzbekämpfung. Die METEOR befinden sich noch in Zulauf . Die Munitionsbestände sind aber wie überall in der Bundeswehr extrem niedrig und bedürfen der Aufstockung. Möglicherweise kann ein EUROFIGHTER nur mit zwei Beladungen bestückt werden. Aussicht auf Verbesserung ist angesagt, Der Klarstand soll zur Zeit bei etwa 60 % liegen. Auch Ausfälle beim logistischen Einsatzführungssystem führten schon zu Startverboten. Der EUROFIGHTER ist seit 2004 im Einsatz und nicht durch spektakuläre Flugunfälle ausgefallen: Der tödliche Zusammenstoß und Verlust von zwei Maschinen bei Rostock 2019 geht wohl auf einen Pilotenfehler zurück und einige Jahre davor hat es eine Kollision bei einer Luftverteidigungsübung über dem Sauerland gegeben, den das Zieldarstellungsflugzeug verursachte und bei dem die beteiligten EUROFIGHTER zu ihrer Basis zurückkehren konnten. Ein großes Problem ist die begrenzte Flugstundenzahl, die auch der Ersatzteillage geschuldet ist. Allerdings haben Piloten aus diesem Grund der Luftwaffe schon den Rücken gekehrt.

 

Die jetzige Lage der Luftverteidigung ist nur vor dem chronologischen Hintergrund verständlich. In der STARFIGHTER-Ära waren nur die beiden Geschwader in Wittmund und Neuburg für die Luftverteidigung vorgesehen, die restlichen STARFIGHTER-Verbände konzentrierten sich auf die Luft-Boden Rolle, vor allem auf die nukleare Teilhabe. Das Jagdbombergeschwader 32 in Lechfeld sollte ab Mitte der sechziger Jahre auch eine Jäger-Rolle in Zweitfunktion wahrnehmen. Das hatte sicher mit dem Rückzug der französischen Flugabwehrraketenkräfte ab 1966 zu tun. Ab 1974 wurde dann die PHANTOM F4 für eine kombinierte Jäger- und Jagdbomberrolle als Tactical Fighter eingesetzt. Diese PHANTOM-Version nutzten die Geschwader in Wittmund, Neuburg sowie in Rheine (Nr. 36, später 72) und Sobernheim (Nr.35), in Luftwaffenkreisen auch als Pferdsfeld bekannt. Die PHANTOM schied erst 2013, zuletzt in Wittmund, bei der Luftwaffe aus. Sie war in den 90er Jahren noch für die Distanzbekämpfung mit Luftkörpern mittlerer Reichweite AMRAAM und einem entsprechenden Radar kampfwertgesteigert worden, da sie für den Luftkampf im Dogfight nicht mehr sonderlich geeignet war.

 

Die Luftwaffe legte im Kalten Krieg ihren Schwerpunkt auf die bodengestützte Luftverteidigung mit Flugabwehrraketen. In den sechziger Jahren entstand der national gemischte NATO-Doppelriegel mit den Systemen NIKE und HAWK: NIKE für größere Höhen und eine nukleare Einsatzmöglichkeit, HAWK für den Tiefflugbereich. Es gab in der Luftwaffe insgesamt sechs NIKE- und neun HAWK-Bataillone. Die NIKE-Verbände trugen die Nummern 21 - 26, die HAWK-Bataillone die Nummern 31 - 39. Es gab 24 deutsche NIKE- Batterien und 36 HAWK-Batterien, die alle im Riegel über eine feste Einsatzstellung verfügten, welche im 24h - Dauerbetrieb in abgestuften Bereitschaftsgraden bemannt war. Die HAWK sollten bei ausreichender Vorwarnzeit allerdings mobil eingesetzt werden und sich an die Gefechtsstreifen der NATO - Korps anschließen. Der Schwerpunkt des deutschen Anteils der deutschen FlaRak-Kräfte lag zwischen Main und Nordsee sowie einer HAWK - Komponente im Raum München-Regensburg.

 

Nachzutragen wäre noch die Einführung eines Objektschutzes für wichtige Flugbasen, Raketen- und Radarstellungen in den 70er Jahren mit der Einführung von optisch gelenkten 20 mm - Zwillingskanonen, die durch Personal in Zweitfunktion bzw. Reservisten bedient wurden.

 

Ab 1987 begann mit der Umrüstung von NIKE auf PATRIOT eine umfassende Umstrukturierung. Die FlaRak - Gruppe 26 verlegte mit PATRIOT nach Schleswig- Holstein, die Gruppen 22 und 23 verlegten aus den Bereichen Sauerland, Siegerland, Westerwald, Raum Frankfurt - Gießen nach Bayern.

Das HAWK - Bataillon 38 mit vier Batterien aus Schleswig - Holstein und zwei neu unterstellten Batterien aus dem Raum Bremen verlegte in den Raum Nordhessen und NRW, um dort zeitweise eine ehemalige amerikanische und drei ehemalige belgische HAWK-Stellungen und zwei frei gewordene NIKE-Stellungen zu beziehen. Das gesamte Umrüstungsprojekt war lange wegen der Haushaltslage unsicher gewesen , wurde dann aber 1983 recht kurzfristig durch ein Kooperationsabkommen zwischen den USA und der Bundesrepublik mit gegenseitigen Beschaffungen und Leistungsübernahmen möglich geworden, was die Ausrüstung von 36 Staffeln mit PATRIOT ermöglichte. Die Personaleinsparungen durch das Ende des Betriebes von NIKE inlusive seiner nuklearen Komponente waren eine zweite wichtige Voraussetzung. Der Grundgedanke war, dass die USA  24 der 36 PATRIOT - Batterien auf ihre Kosten beschafften und die Lufwaffe gleichzeitig  als Gegenleistung das schon beim Heer auf dem Gestell des Schützenpanzers MARDER verwendete Flugabwehrraketensystem ROLAND in einer Radversion auf LKW für den Objektschutz einführte. Drei neu aufgestellte ROLAND-Gruppen sollten mit ihren Staffeln ausgewählte deutsche und amerikanische Fliegerhorste schützen. Neben diesem Objektschutz war die Übernahme von Luftverteidigungsaufträgen der USA mit 12 PATRIOT-Batterien in Bayern eine weitere deutscheGegenleistung für die Nutzung von PATRIOT-Gerät mit dem Status "US-provided" oder "US-owned". Allerdings waren alle PATRIOT-Einheiten für die Luftwaffe, nicht nur die 12 aus deutschen Mitteln beschafften,  einheitlich mit deutschen Fahrzeugen und Fernmeldegerät ausgestattet. 2001 und 2005 gingen übrigens auch die US-beschafften Geräte in deutschen Besitz über. Deutschland hatte sich auch verpflichten müssen, alle Batterien in seiner Verantwortung den Modernisierungsmaßnahmen der US-Army anzupassen. Diese Art von Kooperationsabkommen mit gegenseitigen Vereinbarungen über eine Arbeitsteilung von Gerätebeschaffungen und Übernahme militärischer Aufgaben könnte auch aus heutigem Blickwinkel ein Muster für den Erhalt und Ausbau von Fähigkeiten sein und manche Verstimmungen über teure und langwierige multilaterale Rüstungs- und Beschaffungsprojekte umgehen. Die Umsetzung des Abkommens von 1983 dauerte verglichen mit anderen internationalen Projekten militärischer Zusammenarbeit nur wenige Jahre und war um 1993 abgeschlossen. Zwei kooperationswillige Nationen brachten Gerät aus fortgeschrittenen eigenen  Beschaffungsvorhaben zusammen mit Leistungszusagen in ein gemeinsames Aufgabenprofil ein, wie es ihrem Potential und militärischen Strukturen am ehesten entsprach. Allerdings war dies Abkommen auch durch gemeinsame Bedrohungslagen und sicherheitspolitische Konzeption im Kalten Krieg geprägt. Heute haben sich die Interessen, Wahrnehmungen und Konzepte in einer veränderten komplexeren Weltordnung diversifiziert.

 

PATRIOT und HAWK sollten in gemischten Flugabwehrraketeneinsatzzonen (Cluster) mobil eingesetzt werden, in die in den 90er Jahren auch ROLAND einbezogen wurde. Die Cluster ersetzten die festen zwei Luftverteidigungsriegerl, waren aber auch noch von Nord nach Süd aneinandergereiht. 2001 entfiel die feste Zuordnung von ROLAND-Staffeln zu ausgewählten Schutzobjekten, meist Fliegerhorste, später auch einige Radarführungsstellungen. Statt des Objektschutzes ergänzten die mobilen ROLAND-Systeme jetzt mit ihrem Einsatzspektrum im Nahbereich die PATRIOT- und HAWK-Feuereinheiten in den sechs deutschen Clustern. Die bisher nur für die truppendienstliche Führung vorgesehenen sechs Flugabwehrraketenregimentsstäbe sollten nach 1987 für die taktische Führung der Cluster auch entsprechende mobile Gefechtsstände erhalten und wurden zeitweise als Kommandos geführt, dann auf die Geschwaderebene herabgestuft. Die Aufwertung der Flugabwehrraketenbataillone zu Geschwadern blieb auch nur eine Episode. Im Sinne der bis 1992 noch gültigen Abschreckungsdoktrin war ursprünglich auch noch die unmittelbare 24-Stunden-Einsatzbereitschaft in den Stellungen gefordert, um bei einer Überraschung sofort den Luftkampf führen zu können. Dafür sollten die PATRIOT-Batterien sogar befestigte Stellungen erhalten. Die waren in der Masse an den alten NIKE-Standorten vorgesehen. Es gab aber auch ehemalige HAWK- Stellungen und einige Neubauobjekte, die als IRS (Immediate Reaction Sites) PATRIOT-Batterien aufnehmen sollten. Das Bauprogramm wurde aber wegen des politischen Wandels abgebrochen. Details finden sich exemplarisch in der Chronik der Flugabwehrraketengruppe 21. Ausgangslage in der Zeit bis 1993 war ein Bestand von jeweils 36 Einsatzstaffeln PATRIOT und HAWK und 15 Staffeln ROLAND. Dieses Potenzial wurde in einem Prozess von 20 Jahren schrittweise abgebaut. Jahr für Jahr gaben Batterien ihre ehemaligen Dauereinsatzstellungen auf und wurden aufgelöst oder an zentralen Standorten, bevorzugt ehemaligen oder wenig genutzten Fliegerhorsten zusammengezogen. Die Beschreibung der komplexen Details dieses andauernden Umbau- und Reduzierungsprozesses kann man hier ausklammern. Der Objektschutz mit 20 mm-Kanonen wurde durch die Aufstellung von aktiven oder nicht aktiven Fliegerfausttrupps mit dem System Fliegerfaust 2 STINGER ersetzt. Diese waren erst in die Flugabwehrraketengruppen integriert, wurden dann 2003 in zwei Staffeln in Wittmund und Lechfeld beim Objektschutzbataillon bzw. Jagdbombergeschwader 32 konzentriert.

 

 Die Ausbildung erfolgte nun in Friedensausbildungsstellungen (FAST), die keine taktische Funktion mehr hatten. Diese FAST nutzten die ehemaligen Raketenstellungen oder die Infrastruktur von Fliegerhorsten. Geübt wurde der mobile Einsatz der Flugabwehrraketenstaffeln zum Schutz von Objekten und Truppen bei NATO-Einsätzen im gesamten Bündnisgebiet. Das war häufig mit großräumigen Verlegungen, oft im Seetransport, verbunden.  Die Konzentration der Flugabwehrraketenkräfte im Norden dürfte der Strukturpolitik und dem gelegentlichen Seetransport geschuldet sein. Die durch Bevölkerungszentren, Verkehrswege und Hauptquartiere wichtigen Schlüsselräume in NRW und in der Rhein-Main-Region wurden von Flugabwehrraketenkräften in Zeiten knapper Kassen und der priorisierten Krisenbewältigung ebenso verlassen wie Bayern mit seinen Rüstungsobjekten. Dabei gehört eigentlich auch die territoriale Raketenabwehr über den Lebenszentren des Bündnisgebietes zum Lastenheft von NATO und Bundeswehr. Allenfalls bei der Flugabwehrraketengruppe 24 mag man an den Schutz der naheliegenden Hauptstadt denken. Die Friedensstationierung folgte keinen taktisch-operativen Überlegungen für die Bündnis- und Landesverteidigung mehr.

 

Im Rahmen der Hinwendung Deutschlands zu internationalen Militäreinsätzen wurden die Luftverteidigungskräfte in den 90er Jahren  den Kategorien Hauptverteidigungs- oder Krisenreaktionskräfte mit unterschiedlichen Bereitschaftsgraden zugeordnet. Noch bevor die Auslandseinsätze offizielle Politik wurden und verfassungsrechtlich geklärt waren, gab es 1991 einen spektakulären Auslandseinsatz im Rahmen der NATO als die Flugabwehrraketengruppen 36 und 42 einen gemischten HAWK-ROLAND-Verband während des zweiten Golfkrieges  zum Schutz des Bündnisterritoriums in die Türkei entsandte. Die Rolle der Flugabwehrraketentruppe im gesamten Bündnisgebiet wurde seit den 90er Jahren in zahlreichen multinatinationalen Übungsvorhaben erprobt, von denen Roving Sands in den USA nur ein Beispiel ist. Dabei wurde auch die Flugkörperabwehr simuliert. Auch die Jahresschießen auf Kreta, die seit Jahrzehnten schon zum Traditionsgut der Luftwaffe geworden waren, wurden wieder aufgenommen, da hier auch der scharfe Schuss geübt werden konnte.  Sogar die Schießen der "Fliegerfausttrupps" wurden zum Abschluss mit "Fly-Away-Parties" begangen.

 

Was man bei der Betrachtung des Wandels nicht vergessen sollte. Vor 1990 wurde die bodengestützte Luftverteidigung der NATO auf deutschem Boden zu 50 % von den Partnerstreitkräfte getragen. Die USA hatten  schon 1982  ihre erste PATRIOT -Einheit in einer permanenten Stellung bei Gießen in Betrieb genommen und bis 1984 alle NIKE-Einheiten aufgelöst und in ihrem Stationierungsraum PATRIOT stationiert . Der Betrieb von PATRIOT in zwei Einsatzclustern im süddeutschen Raum war als Teil des Abkommens mit der Bundesrepublik auf die Luftwaffe mit dem Betrieb von Gerät in amerikanischem Besitz übergegangen. Auch die Niederlande hatten ihre NIKE-Batterien 1987/88 zum Teil durch Patriot ersetzt und im HAWK-Gürtel stationiert. Belgien stieg aus der PATRIOT-Beschaffung aus und unterhielt nach der Deaktivierung seiner letzten beiden NIKE-Batterien 1990 nur noch zwei HAWK-Bataillone in Ostwestfalen und Nordhessen. Die USA, die Niederlande und Belgien verfügten noch über zahlreiche HAWK-Batterien. Die Flugabwehrkräfte der Alliierten wurden in den 90er Jahren parallel zu ihren Stationierungskräfte abgezogen. Nur die USA und Großbritannien unterhielten nach 2000 noch nennenswerte Truppen, die in geringem Maße Luftverteidigungsmaßnahmen zum Eigenschutz unterhielte. Die Royal Airforce hatte ihre Phantom-Jagdflugzeuge schon sofort mit der deutschen Einheit aus Wildenrath abgezogen, da der luftpolizeiliche Auftrag nun vollständig in deutsche Verantwortung überging. Die Jagdbomber folgten einige Jahre später. Bis 2020 zogen die britischen Truppen nahezu vollständig aus Deutschland ab. Für die Luftverteidigung hatte Großbritaniien sich ohnehin nur auf den Eigenschutz mit eigenen Systemen beschränkt und sich nie an der Riegelverteidigung beteiligt. Die USA unterhält 2020 och ein Luftwaffengeschwader F 16 in Spangdahlem betrieben, das nun aber zum Spielball der Abzugspläne Präsident Trumps und dem Aufschub dieser Maßnahme durch den Kongress geworden ist.

 

Die Reste der Flugabwehrraketentruppe sind heute in Schleswig Holstein und Mecklenburg - Vorpommern konzentriert. HAWK und ROLAND verschwanden bis 2005 aus der Luftwaffe. HAWK war trotz zahlreicher Modernisierungen nach 50 Jahren Dienstzeit ein auslaufendes Modell, obwohl es mit einem Wirkradius von 360 Grad und seiner speziellen Fähigkeit zur Tieffliegerbekämpfung immer noch Lücken abdeckte, die PATRIOT nicht ausfüllte. Ab 1987 hatte die Luftwaffe als Nachfolger der HAWK die Entwicklung des Taktische Luftverteidigungssystem TLVS betrieben. TLVS ging dann in das deutsch-amerikanisch-italienisch-französische Projekt MEADS (Medium Extended Air Defence System) ein, das sich zu einem Nachfolger der PATRIOT mit fernerem Einführungshorizont entwickelte und verteuerte. HAWK blieb ohne direkten Nachfolger und wurde in seinem Reichweitenspektrum durch unterschiedliche Projekte einer Kombination von modifizierten Luft-Luft-Raketen mit bodengestützten Startern und Einsatzführungsmodulen ersetzt. Dabei ging das hohe Maß an NATO-Standardisierung bei der Tiefflugabwehr verloren. Mittlerweile sind alle Partner auch aus MEADS ausgestiegen. Das fortgeschrittene, mehrfach modifizierte und kostentreibende Projekt wird nur noch von Deutschland als PATRIOT-Nachfolger verfolgt und wieder mit dem ursprünglichen Begriff aus den 80er Jahren TLVS benannnt. Dass zusammen mit HAWK auch die viel jüngeren und moderneren ROLAND aufgrund der nachgelegten Bundeswehrreduzierungen nach 2002 und einseitigen Fixierung auf die internationalen Stabiliserungsmissionen aus Luftwaffe und Heer ausscheiden mussten, dürfte man heute wegen der Neubewertung der Nahbereichsverteidigung bedauern (s.u.)

 

 PATRIOT wird noch in 12 Staffeln betrieben und wurde mehrmals modernisiert. Das betraf sowohl die Waffenelektronik als auch die Flugkörper, wobei die erweiterte Luftverteidigungsfähigkeit für die Abwehr ballistischer Raketen eine große Rolle spielt. Im Zentrum stand dabei der Fähigkeitsaufwuchs des Radar-, Einsatzführungs- und Flugkörpersystems, dessen Modifikationen sich in den Rüstzuständen PAC-1, PAC-2 und PAC-3 niederschlugen (PAC = Patriot Advanced Capability) . PAC-1 orientierte sich noch an der ursprünglichen Kernaufgabe der Bekämpfung von Luftfahrzeugen, PAC - 2 bedeutete, befördert durch den zweiten Golfkrieg, eine Erweiterung der Bekämpfungsmöglichkeiten von taktischen Raketen im Reichweitenspektrum bis 1000 km.und Marschflugkörpern  Den aktuellen Leistungsstand im Modus ATBM (Anti-Tactical-Ballistic-Missile) verkörpert PAC-3 mit einem neuen Flugkörper, dessen Beschaffung sich in Deutschland allerdings verzögerte. PAC-3 erkennt man auf den Startfahrzeugen an den kleineren Flugkörpercontainern, die eine Bestückung mit 8 statt 4 Raketen pro Fahrzeug erlauben. Jede Feuereinheit (Batterie) kann bis zu acht Startfahrzeugen führen. Im Augenblick läuft eine Modernisierung für die Nutzung bis nach 2030. Dazu gehört auch eine minimale Bevorratung von 50 Flugkörpern PAC 2 MSE. Der Flugkörper für den Ausrüstungsstand PAC-3 wirkt vorwiegend durch die kinetische Energie eines direkten Treffers („Hit to Kill“) und nicht durch eine per Annäherungszünder ausgelöste Detonation des Gefechtskopfes. Die besondere Herausforderung bei der Bekämpfung von Raketen stellt sich durch deren große Geschwindigkeit und geringem Radarquerschnitt. Bei Marschflugkörpern wird neben der geringen Größe das Tiefflugprofil zum Problem. Heute erleichtern verbesserte Datenverbindungen und Vermessungstechnologie per GPS und Satelliten den Bezug aufgelockerter Abschussräume (Launcher Farms) mit bis zu 30 km von der Feuerkontroll- und Radareinheit abgesetzten Startern. Dadurch werden größere Räume, auch gegen Raketen, geschützt, allerdings auch die Eigensicherung erschwert. Zentrale Leistungseinheit von PATRIOT ist das Radar auf einem LKW 15 t und der Feuerleitsstand auf einem LKW 7 t. Radar und Rechner müssen zahlreiche verschiedene Funktionen wahrnehmen: Luftraumsektorüberwachung, Zielerfassung, Zielverfolgung, Freund-Feindidentifizierung, Flugkörperverfolgung und -steuerung.Hinzu kommen die Lagedarstellung, Risikobewertung und Bekämpfungsentscheidungen. Ein unbemannter autonomer Feuerkampf ist möglich. Die Steuerung der fest ausgerichteten Radarmodule in ihren verschiedenen Arbeitsphasen kann den Radarstrahl flexibel lenken. Die Software muss eine Vielzahl von komplexen Steuerungsvorgängen in großer Dichte und extrem kurzen Zeiten bewältigen und muss durch laufende Modifikationsmaßnahmen den Aufgaben angepasst werden. PATRIOT kann gleichzeitig 50 Ziele verfolgen und 5 bekämpfen. Die Erfassungsreichweite für Flugziele beträgt 170 km. Abhängig vom Flugkörper PAC 2 oder PAC 3 liegen die Bekämpfungsreichweiten bei 68 bzw 45 km und die Einsatzhöhen bei 30 bzw. 15 km. Die Vielzahl unterschiedlicher Ziele mit sehr verschiedenen Bekämpfungsanforderungen stellt eine anspruchsvolle Aufgabe dar, die mit neuen Bedrohungen durch Drohnen und hypersonischen Flugkörper nicht einfacher wird. Für die Abwehr von Drohnenschwärmen ist schon von der Zahl, geringen Flughöhe und geringen Größe her PATRIOT kein geeignetes System. Von Anfang an stellte die Fixierung des Radarsektors auf 120 Grad und die geringe Eignung für die Bekämpfung von sehr tief fliegenden Zielen eine Limitierung dar, auch wenn manche Planer gerne aus Kostengründen in PATRIOT ein Universalsystem sehen wollten, um die Einführung anderer Systeme einzusparen. Die Verlastung des Systems auf LKW verleiht eine hohe Verlegemobilität, kann aber nicht mit der flexiblen und reaktionsschnellen Gefechtsmobilität von Flugabwehrpanzern verglichen werden. PATRIOT schützt Truppen in bestimmten Räumen, kann aber nicht im begleitenden Einsatz Luftangriffe abwehren. Die erweiterte Luftverteidigung gegen ballistische Raketen wirkt nur im Stellungsraum der Feuereinheiten, stellt also keine allgemeine Raumverteidigung dar, und strategische Raketen größerer Reichweite kann das System ohnehin nicht abwehren. Die Feuereinheiten weisen wegen ihre Abhängigkeit von einem zentralen Waffenführungseinsatzsystem keine Redundanz bei Ausfällen auf. Außerdem muss die Verteilung der Systemkomponenten im Gelände auch entsprechend gegen Bodenbedrohungen gesichert werden. Anders als Flugabwehrkanonenpanzer besitzt die FlaRak kein eigens Potential für den Erdkampf.

 

Im Augenblick läuft eine Modernisierung für die Nutzung bis nach 2030. Es gibt nur noch einen übergeordneten Führungsverband, das Flugabwehrraketengeschwader 1 mit einem mobilen Geschwadergefechtssstand in Husum, dem die Flugabwehrraketengruppe 26 am gleichen Standort, die Flugabwehrraketengruppe 21 in Sanitz und die Flugabwehrraketengruppe 24 in Bad Sülze unterstehen. Sie betreiben jeweils eine Friedensausbildungsstellung auf dem ehemaligen Fliegerhorst Schwesing bei Husum, in Gubkow bei Sanitz und in Warbelow bei Bad Sülze/Boehlendorf. Die Flugabwehrraketenausbildung wurde/ wird aus den USA nach Husum verlegt. Die Reste der Heeresflugabwehrtruppe mit einer kleinen Batterie leichter Flugabwehrraketenpanzer OZELOT (mit STINGER) und einem mobilen Luftraumüberwachungsradar LÜR wurden in die Flugabwehrraketengruppe 61 in Putlos/Todendorf überführt. Dazu traten einige wenige für den Feldlagerschutz neu entwickelte Kanonensysteme MANTIS. Diese Gruppe wurde mittlerweile dem niederländischen Flugabwehrkommando in Vredepeel (Gemeinde Venray) bei Venlo unterstellt. Bei den Niederländern sieht es nicht viel besser aus. Sie haben  nur noch eine PATRIOT- Batterie und eine Nahbereichsbatterie, die wie die OZELOT der Luftwaffe das leichte Flugabwehrraketensystem STINGER einsetzt, allerdings nicht auf dem leichten Kettenfahrzeug WIESEL sondern auf dem Radpanzer FENNEK. Dazu kommt auch ein mobiles Luftraumüberwachungsradar TRDML. Für den Nahbereich werden wie bei der weiträumigen Luftverteidigung ebenfalls eine Führungsfeuerleiteinheit und Überwachungssensoren notwendig. In der niederländischen Nahbereichsbatterie befindet sich auch das Flugabwehrraketensystem NASAMS, ein Kooperationsprodukt der norwegischen Firma Kongsberg und dem amerikanischen Konzern Raytheon mit einer Boden-Luft-Version des  Luft-Luft-Flugkörpers mittlerer Reichweite AMRAAM.

 

Damit kommen wir zu einer Komponente der Luftverteidigung, die weniger im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht: der Radarführungsdienst, heute Einsatzführungsdienst genannt. Die Zahl der Radarstellungen, im modernen Militärdeutsch als Sensoren bezeichnet, hat sich wenig geändert. Die Geophysik und Topographie erfordern eine flächendeckende Stationierung. Die Anlagen sind in der Landschaft an den weithin sichtbaren Radarschutzhauben (RADOME) auszumachen. Es gibt 18 Radaranlagen mit drei verschiedenen Systemen, die zu unterschiedlichen Zeiten eingeführt worden sind. Die westliche Kette betreibt das System HADR (Hughes Air Defence Radar, 4 x ) seit 1984. In den neuen Ländern und in Ostbayern wurde in den 90er Jahren das System RPR 117 (8 x)) eingeführt und nach 2010 wurde die mittlere Kette mit dem ARED GROUNDMASTER 6 (6 x)  erneuert. Bei uns in Nordrhein-Westfalen gibt es eine HADR - Stellung in Marienbaum am Niederrhein und GROUNDMASTER-Stellungen im ostwestfälischen Auenhausen bei Borgentreich und in Erndtebrück (Rothaargebirge). In Berlin überragt das dortige RPR 117 den ehemaligen Flughafen Tempelhof auf einem hohen Radarturm. Stark reduziert wurde die Zahl der Einsatzführungszentralen von einst acht verbunkerten Luftverteidigungsgefechtsständen CRC  auf nur noch zwei in Erndtebrück und im südbrandenburgischen Holzdorf, wo heute auch ein Teil der CH 53- Hubschrauber der Luftwaffe stationiert ist. In Holzdorf gibt es auch eine kleine Komponente mit zwei mobilen Radaranlagen RAT 31 D und einem mobilen Einsatzführungsgefechtsstand DCRC. Waren früher alle Einsatzführungszentralen in Bunkeranlagen untergebracht, so kann nur der Einsatzführungsbereich 3 heute  noch eine ehemalige NVA - Bunkeranlage in Holzdorf nutzen. In Erndtebrück wurde der Einsatzführungsbereich 2 in einem neuen ungeschützten oberirdischen Gebäude untergebracht. Es wird aber erwogen, die ehemalige Bunkeranlage MARTIN in Meßstetten auf der Schwäbischen Alb für die dortige HADR -Anlage und vor allem als alternatives operatives Führungszentrum der Luftwaffe wieder in Betrieb zu nehmen. Die Radaranlagen werden im Fernwirkbetrieb abgesetzt betrieben und sind nur von einer kleinen technischen Betreuungsmannschaft in Zugstärke besetzt. Die 18 Sensoranlagen des Einsatzführungsdienstes verfügen also über keinen eigenen über den zivilen Wachdienst hinaus gehenden originären militärischen Schutz und dürften in einer Bedrohungslage viele Kräfte der RSU-Kompanien des Heimatschutzes binden!  Nicht vergessen darf man natürlich auch die Stationierung des fliegenden NATO-Luftraumüberwachungsverband AWACS in Geilenkirchen.

 

Die Zentralen der beiden Einsatzführungsbereiche in Erndtebrück und Holzdorf können beide wechselseitig die Daten der 18 Radaranlagen für ein Lagebild in ganz Deutschland aufbereiten. Dort sind auch Arbeitsplätze für Jägerleitoffiziere. Die beiden Einsatzführungsbereiche sind allerdings keine autonomen Kommandozentren. Die militärische Führung aller Luftwaffeneinsätze ist im operativen Führungszentrum der Luftwaffe in Kalkar/Uedem in der Bunkeranlage im Paulsberg konzentriert. Dort wird auch ein Weltraumlagebild geführt und die nationale Befehlsgewalt für den Fall einer Luftterrorlage ausgeübt.

 

Wenn man davon ausgeht, dass der Schutz Deutschlands und seiner Bevölkerung auch eine territoriale Flugkörperabwehr anstreben sollte, müsste die Luftraumüberwachnung natürlich auch eine Frühwarnkapazität  in diesem Spektrum einschließen und prüfen, ob die Sensorsysteme auch in diesem Sinne weiterentwickelt werden können. Dies dürfte ein "heißes Eisen" sein, das die deutsche Politik nur ungern anfassen möchte und wenig diskutiert wird. Die erweiterte Luftverteidigung wird bei uns nur als Schutz der eigenen Truppen oder von einsatzwichtigen Räumen vor Raketenangriffen verstanden. Da sich diese Einsatzkräfte aber nach gängigem Verständnis sowohl bei der Bündnisverteidigung wie bei der Krisenreaktion im Ausland befinden, ist ein Heimatschutz mit diesem Fähigkeitsprofil aktuell wohl nicht vorgesehen. Gemeint ist der Schutz gegen taktische Flugkörper mit bis zu 1000 km Reichweite.  Die Verteidigung gegen strategische Flugkörper langer Reichweite stellt ohnehin ganz andere Anforderungen. Eine flächendeckende Raketenabwehr berührt auch sehr schnell Fragen der Rüstungskontrolle und des Gleichgewichts von Bedrohung und Abschreckung. Die Nutzung der Radarsysteme über die Entdeckung von Flugzeugen, Drohnen und Marschflugkörpern hinaus ist eher eine politische als technische Frage.

 

Das Heer hatte einst mit seiner eigenen Heeresflugabwehrtruppe eine große Kapazität zum Schutz der Heeresoperationen aufgebaut. In ihrer Blütezeit gab es in den 80er Jahren 11 Divisionsregimenter mit Flugabwehrkanonenpanzern GEPARD und integrierten Fliegerfausttrupps sowie drei Regimentern der Korps mit dem Flugabwehrraketenpanzer ROLAND (Fahrgestell des MARDERS) und einem weiteren gemischten gekaderten Regimentsverband in Schleswig-Holstein. Außerdem hielt man in den Korpsflugabwehrkommandos noch sechs Gerätebataillone mit den älteren, allerding radargelenkten Flugabwehrkanonen BOFORS 40/L 70 vor. Die Reduzierung der Heeresflugabwehr erfolgte schrittweise parallel zur Auflösung von Großverbänden, allerdings führte man noch für die luftbeweglichen Truppen drei Batterien mit den leichten Flugabwehrraketenpanzern OZELOT ein, bei dem Fliegerfäuste STINGER und ein Führungssystem auf dem leichten Luftlandepanzer WIESEL verlastet waren. Bis 2012 wurden die letzten beiden GEPARD - Regimenter aufgelöst und mit der Abgabe einer einzigen OZELOT - Batterie mit einem Luftraumüberwachungsradar an die Luftwaffe die Ära der Heeresflugabwehr beendet. Die ROLAND - Flugabwehrpanzer des Heeres waren schon einige Jahre früher zusammen mit ihren auf LKW verlasteten Schwestersystemen in Luftwaffe und Marine verschwunden. Die Neubewertung der sicherheitspolitischen Lage in Europa ab 2014 sollte aber bald diesen Verzicht auf eine ganze Waffengattung fragwürdig erscheinen lassen. Deutschland ist sehr bemüht, seine Bündnistreue als Rahmennation unter Beweis zu stellen und zur Zeit drehen sich alle Bemühungen darum, die für 2023 zugesagte voll ausgerüstete Eingreifbrigade für das Bündnis verfügbar zu machen. Auch wenn man die bescheidenen Reste der Nahbereichsflugabwehr in der Luftwaffe mit der ebenso reduzierten niederländischen Luftverteidigung zusammengelegt hat, kann das Fehlen eines mobilen Flugabwehrschutzes für die Einsatzkräfte nicht verschleiert werden. Hinzu kommen aktuelle Erkenntnisse aus den Auseinandersetzungen in der Ukraine und im Kaukasus, wo Drohnen erhebliche Verluste verursachten und die Nahbereichsverteidigung plötzlich wieder einen höheren Stellenwert bekommen soll. Auch wenn der Personalrahmen den Aufstellungen weiterer Verbände Grenzen setzt, will man im Rahmen der Jägertruppe auf dem Transportpanzer BOXER eine behelfsmäßige mobile Flugabwehr durch eine Konbination der Granatmaschinenwaffe 40 mm mit entsprechender intelligenter Waffen- und Munitionselektronik realisieren. Für die Bekämpfung von Geschossen und Drohnen hatte man zum Feldlagerschutz das stationäre 35 mm - Kanonensystem MANTIS entwickelt. Die Planer und Techniker möchten nun eine Renaissance des Flugabwehrpanzers mit einer Kombination von BOXER und MANTIS umsetzen. Die Gewichtsprobleme durch eine Integration des Waffenturms und der Sensorik von MANTIS dürften jedoch einen mobilen Feuerkampf mit einem Wechsel von Bewegung und Schießhalt ausschließen. Auch der GEPARD-Turm hatte ein großes Gewicht gehabt, ruhte aber auf dem Fahrgestell des LEOPARD 1 mit einer entprechenden Geländemobiliät und dem günstigem Bodendruck von Kettenfahrzeugen.

 

Bei der Betrachtung der Luftverteidigungsmittel darf man die Marine nicht ausklammern. Dafür musste für den Eigenschutz der schwimmenden Einheiten zuerst die Bofors 40 mm-Flak reichen, die auch beim Heer und davor in der Luftwaffe genutzt wurde. Auch die radargesteuerten Bordgeschütze der Kaliber 100 mm und später 76 mm kamen begrenzt für die Flugabwehr in Betracht. Über den Eigenschutz der Schiffe und Boote hinaus benötigte die Marine auch eine flächendeckende Flugabwehrwaffe für den Verbandsschutz. Dieses Problem lösten die gegen Ende der 60er Jahre eingeführten drei Lenkwaffenzerstörer amerikanischer Herkunft mit dem Raketensystem TARTAR. Diese blieben bis um die Jahrtausendwende im Einsatz und wurden dann von den drei Flugabwehrfregatten der „Sachsen“ - Klasse 124  abgelöst, die mit dem neuen schweren Flugabwehrflugkörper STANDARD 2 MSL und fortgeschrittener Waffen- und Sensorelektronik zu einem leistungsfähigen, auch von NATO-Partnern geschätzten Begleiter von Flottenverbänden wurden. Die „Sachsen“-Fregatten  begleiten gelegentlich auch amerikanische und  französische Flugzeugträger und sie sind auch als Sensorträger für eine seegestützte Raketenabwehr zur Verteidigung Europas denkbar. Eine Kampfwertsteigerung der Flugkörper STANDARD 2 MSL für die erweiterte Luftverteidigung gegen ballistische Raketen wird bei den „Sachsen“-Fregatten bisher nicht verfolgt. Seegestützte Luftverteidigungssysteme können auch für die Landkriegführung und erweiterte Raketenluftverteidigung des Kontinents relevant sein. Fregatten der Bundesmarine verfügen heute zum Eigenschutz über das Flugabwehrraketensystem SEA SPARROW und die seit den Erfahrungen des Falklandkrieges 1982 besonders gefürchteten knapp über der Wasseroberfläche angreifenden Seezielflugkörper ( Seaskimmer ) führten zur Einführung einer Nächstbereichsystems, das im Endanflug noch den anfliegenden Flugkörper zerstören und das Schiff „auf der Linie retten“ soll. Dieses im Bündnis verbreitete System RAM (Rolling Airframe Missile) setzt einen autonomen „Fire and Forget“-Flugkörper ein, der mit passiven Radar- und Infrarotzielsuchkopf die Signatur des Ziels erfasst und nach dem Abfeuern selbstständig bekämpft . RAM-Container wurden auch in Schnellboote und später Korvetten eingerüstet. Ein neues auf allen Kampfschiffs und -bootsklassen und auch einigen Versorgungseinheiten eingerüstetes Querschnittswaffensystem stellt das Marineleichtgeschütz dar, das die Bofors 40 L 70 ablöste. Es handelt sich um eine 27 mm - Maschinenkanone, die aus der Bordwaffe des EUROFIGHTERS und TORNADO hervorgegangen ist, mit Kamerasensoren, Wärmebildgeräten und Laserentfernungsmessern kombiniert wurde und eine Vielzahl von schwimmenden und fliegenden Zielen je nach Zielart zwischen 2,5 und 4 km unter Feuer nehmen kann. Sie ist bei asymmetrischen Bedrohungen besonders wertvoll, z.B. bei der Bekämpfung von Speedbooten oder Drohnen.

 

Im Zusammenhang mit der deutsch - norwegischen U-Boot-Kooperation wird auch an einem Luftverteidigungsflugkörper für U-Boote gearbeitet.

 

Eine besondere Herausforderung für jede Luftverteidigung ist die breite Palette der Bedrohungen, die bei Minidrohnen beginnt und künftig bei hypersonischen Flugkörpern/Gleitern endet: Drohnen, Flugzeuge, Hubschrauber und Raketen unterscheiden sich nach Größe, Flughöhe- und Fluggeschwindigkeit und erfordern jeweils spezifische Bekämpfungsmittel. Hochwertige Angriffsziele erfordern hochwertige Verteidigungsmittel, aber der Verteidiger darf hochwertige Waffen und Munition nicht bei der Bekämpfung weniger leistungsfähiger, wenn auch zahlreicher „Billigsysteme“ verschießen. Die Abwehr muss somit auch zwischen verschiedenen Waffentypen wählen können. Rohrwaffen können kostengünstiger sein und sehr schnell noch in letzter Sekunde wirken und reagieren, haben aber nur eine begrenzte Reichweite.

 

Vor diesem Problem steht auch das in Deutschland entwickelte Taktische Luftverteidigungssystem TLVS, das einmal die PATRIOT - Systeme ablösen soll, dessen Einführungschancen sich aber zunehmend verschlechtern. Es war nach längerer Vorgeschichte unter dem Projektnamen MEADSzu einem deutsch-amerikanisch-italienischen Vorhaben geworden, bei dem die Partner aber von einer Einführung Abstand nahmen, sich aber noch an der Entwicklung beteiligten. MEADS sollte als offenes System weiterentwickelt werden, von dem einzelne Komponenten übernommen oder wo fremde Komponenten integriert werden konnten. Das TVLS nutzt auch amerikanisch kontrollierte Teilsysteme, da es aus einem multilateralen Vorhaben hervorgegangen ist und bislang auch den US-Rüstungskonzern Lockheed-Martin ins Projekt eingebunden hatte. Es geht dabei um die Verwendung der Software des auch von PATRIOT genutzten Flugkörpers PAC-3. TLVS soll eine Vielzahl von Bedrohungen durch Flugzeuge, Drohnen und Raketen bekämpfen können. Es stehen wahlweise zwei Flugkörper zur Verfügung: PAC-3 für große Reichweiten auch gegen ballistische Raketen, die kinetisch durch Aufprall zerstört würden, und als Zweitbewaffnung mit geringerer Reichweite gegen weniger hochwertige Bedrohungen  und im Nahbereich eine Bodenversion des Luft-Luft-Flugkörpers IRIS. TVLS hat ein Multifunktionsradar wie Patriot, kann aber in einem 360-Grad Radius bei Erfassung und Bekämpfung wirken und ist nicht auf eine 120 - Gradausrichtung des Radarsektors beschränkt. Zur ohnehin schon sehr komplexen Aufgabenbewältigung wie bei der PATRIOT-Radareinheit käme dann noch die rechnerische Verarbeitung der Drehbewegung, was aber angesichts der rasanten Entwicklung der Informationstechnik seit den Einführungstagen von PATRIOT nur noch eine minimale Hürde darstellt.

 

Das TVLS soll mit der Systemarchitektur auch andere Komponenten fremder Luftverteidigungssysteme einbinden und nutzen können und damit sehr zukunftsfähig sein. Das Projekt litt aber unter dem Aussteigen der internationalen Kooperationspartner, den amerikanischen Blockaden bei der PAC-3 Software und der fehlenden finanziellen Absicherung im Bundeshauhalt angesichts der absehbaren Kostenverdoppelung von 5 auf 10 Mrd. €. Die neueren Versionen von PATRIOT sind ein starker Konkurrent, auch wenn die Vertreter von TLVS die besseren Leistungen für sich reklamieren. Der Generalinspekteur und das BMVg haben sich zwar für TLVS entschieden, aber über die Beschaffung entscheiden die parlamentarischen Gremien. Jüngste Nachrichten melden einen Ausstieg von Lockheed - Martin. Die Firma reagiert wohl auf die geringen Beschaffungsaussichten. Die Verteidigungsministerin verkündete neulich in einer Rede, dass sie keine Großprojekte zu Lasten des Grundbetriebes und der allgemeinen Ausstattung um jeden Preis durchziehen werde. Das konnte als ein Abrücken von TLVS verstanden werden, da die deutsch-französischen Kooperationsvorhaben FCAS und MCGB aus politischen Gründen kaum geopfert werden dürften und Marineprojekte wegen der neuerlichen Erklärung des Marineschiffbaus zur Schlüsselindustrie kaum anzutasten sind.

 

Denkbar wäre, dass im BMVg und durch den Generalinspekteur angesichts der Kostenentwicklung beim TLVS eine Veränderung der Bewertung der bodengebundenen Luftverteidigung eintreten könnte und man der Nahbereichsflugabwehr im Sinne der früheren Heeresflugabwehr unter Einbeziehung der zu schützenden Objekte der See- und Luftstreitkräfte wieder eine neue Priorität einräumt und dem Raumschutz eine geringere Bedeutung zumessen könnte. Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen würden vom Boden aus bekämpft, wenn sie die eigenen Kräfte angreifen, nicht wenn sie in den eigenen Raum einfliegen. Das wäre Jagdflugzeugen vorbehalten. Hier könnte zum Beispiel die auch für TLVS vorgesehen bodengestützte Variante von IRIS ergänzt durch ein Rohrsystem eine Lösung darstellen. IRIS könnte dann auch bereits entwickelte Komponenten von TLVS nutzen. Das in vielen Staaten, auch in den Niederlanden (s.o) genutzte System NASAMS liefert für das Vorgehen eine Blaupause. Ein als Flugzeugbewaffnung eingeführter Luft-Luft-Flugkörper wird für einen bodengestützten Einsatz modifiziert und in einen Verbund von Sensorik und Feuerleitstand eingebunden. Wie bei dem AMRAAM- System würde sich mit der Nutzung der europäischen Entwicklung METEOR ein Flugkörper mit einer über den Nahbereich hinausgehenden Reichweite in Kombination mit TLVS-Sensorik und -Waffeneinsatzführung anbieten. Auch der Flugkörper des vielseitigen französisch-italienischen Flugabwehrsystems ASTER wird gelegentlich in diesem Zusammnehang genannt.

 

Andererseits bliebe die Notwendigkeit bestehen, ballistische Bedrohungen im Sinne einer erweiterten Luftverteidigung abwehren zu müssen. Das geht nicht mit Nahbereichssystemen. Insofern müsste der deutschen Luftverteidigungsbeitrag in der NATO auch mit einem hochwertigen System größerer Reichweite gegen ein immer vielfältigeres und leistungsfähigeres Bedrohungsspektrum großer Geschwindigkeit und Reichweite ausgestattet sein. PATRIOT kann nicht ewig in Dienst gehalten werden. Die Zweitbewaffnung mit einem einfacheren Flugkörper könnte entfallen, wenn IRIS ohnehin als eigenes System betrieben würde und wenige Hochwertsysteme nur für ihre Spezialaufgabe vorgehalten würden . Möglicherweise würde man nach einem Scheitern von TLVS dann für die erweiterte Luftverteidigung doch noch eine kleine Zahl der vom amerikanischen Hersteller Raytheon und seinem deutschen Partner Rheinmetall angebotenen Nachfolgeversionen von PATRIOT mit PAC 3 beschaffen, um die Fähigkeit der erweiterten Luftverteidigung nicht ganz zu verlieren. Beschaffung könnte sich in diesem Fall auch suf eine nochmalige letzte Kampfwertsteigerung einer begrenzten Zahl der noch vorhandenen 12 Patriot Feuereinheiten sein. Gegebenenfalls könnte Deutschland später doch noch für TLVS  einen eigenen Flugkörper als Ersatz für PAC-3 entwickeln und in eine vorhandene schon von IRIS genutzte offene TLVS-Architektur einbinden. Wenn dieser nicht nur für größere Reichweiten konfiguriert würde, sondern auch ATBM-fähig wäre, entfiele die Beschaffung von  weiterentwicklezen PATRIOT, da das TLVS dann doch über die Zeitachse gestreckt in mehreren Phasen mit schrittweise erweiterten Modulen realisiert würde. So käme die ursprüngliche Planung wieder zum Zuge, die das neue taktische Luftverteidigungssystem als Nachfolger der HAWK im Bereich der Tieffliegerabwehr sah und man bei PATRIOT von einer langen Nutzung ausging. Bei küstennahen NATO-Eingreifeinsätzen könnten auch Flugabwehrfregatten der „Sachsen“-Klasse mit weiterentwickelten Standard MSL 2 Flugkörpern analog zu den AEGIS-Kreuzern der US-Navy eine begrenzte Option sein. Das bleibt aber im Augenblick noch wie alle Gedanken der letzten beiden Absätze Spekulation.

 

Zentrale Informationsquelle für das Thema ist das von den ehemaligen Flugabwehrraketenoffizieren W.J. Vesper und W. von Spreckelsen verfasste Standardwerk „Blazing Skies“ des Verlags Isensee in Oldenburg von 2004. Weitere Daten lieferte das Taschenbuch Die Ausrüstung der Bundeswehr - Folge 2  des Verlages CPM in Sankt Augustin, herausgegeben von W. Flume, Stand 2013.Bei abweichenden technischen Daten wurde das neuere Werk von 2013 zugrunde gelegt.Im Übrigen ergeben sich viele Fakten und Bewertungen aus der langjährigen Beobachtung der Entwicklung der Bundeswehr in zahlreichen Medien, die hier nicht einzeln nachgewiesen werden. Die Ausführungen zur Entwicklung der Luftverteidigung können noch mit drei verlinkten eigenen Artikeln ergänzt werden:

Ein Dach über Europa: Von Nike zu Patriot und die schon erwähnte Chronik der Flugabwehrraketengruppe 21. Eine Übersicht über die Radareinheiten findet sich unter  Radarführungsdienst.

 

 

 Hier wird noch eine Tabelle mit den Leistungsdaten von Luftverteidigungssystemen folgen.