Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Dauerbaustelle Bundeswehr

Wir konzentrieren uns gern auf die innere Befindlichkeit der Gesellschaft, auf unser materielles Wohlergehen, artikulieren beständig unser Unbehagen bei zahllosen realen oder gefühlten Defiziten. Deutschland in der Mitte Europas erscheint von außen wie eine Insel der Seligen, auch wenn die Welt aus den Fugen zu geraten droht. Politische und wirtschaftliche Gewichte verschieben sich, staatliche Ordnungen zerbrechen. Demokratische Wertvorstellungen werden herausgefordert, die Weltbevölkerung wächst und ist in Bewegung. Ökologische und ökonomische Krisen, der technologische Wandel und zahlreiche
Formen der Gewalt bleiben ein Risiko für unseren gewohnten Alltag. Jeder Tag produziert neue Nachrichten, neue Aufregung, aber wenig Deutung und Perspektive. Wir sind nicht allein auf der Welt, die Sicherheit unserer politischen und gesellschaftlichen Lebensform nicht naturgegeben. Nur gemeinsam mit Partnern in der Welt können wir uns schützen und entwickeln. Sicherheit und Frieden müssen beständig erarbeitet und erworben werden. Dazu bedarf es vieler Instrumente. Die Bundeswehr ist nicht das einzige, aber sicher eines der wichtigsten....Die Sicherheitspolitik Deutschlands ist zu wichtig, um sie durch dauerndes Nörgeln zu zerreden....Das öffentliche Dauerlamento über mangelnde Einsatzbereitschaft des Geräts in der Bundeswehr
untergräbt das Ansehen der Truppe und die Verteidigungsbereitschaft, wenn die berechtigten Klagen nicht mit einem Diskurs über mögliche Auswege, Maßnahmen und Alternativen verbunden werden.

 

Der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) brachte die Sache auf den Punkt: „Ohne Sicherheit ist alles nichts!“. Äußere Sicherheit gehört ebenso zur Daseinsvorsorge wie Fragen der Rente, Bildung, Kinderbetreuung, Infrastruktur und Gesundheit. Deshalb sollten diese Fragen regelmäßig im Parlament Gegenstand der Debatte und Kontroverse sein. Das geschieht bei uns zu wenig. Sicherheitspolitik darf sich nicht auf das Management von Skandalen und Ausrüstungsdefiziten beschränken. .... Viele sicherheitspolitische Dokumente verlieren sich in unverbindlichen Zielvorgaben und Erörterungen, ohne klare Fakten, Ressourcen und nachprüfbare Maßnahmen zu nennen, welche die Bürger auch verstehen. In die Verantwortung der Politik fiel die überoptimistische, aber populäre Fehlbewertung der sicherheitspolitischen Lage in Europa nach 1990, in der man sich „von Freunden umzingelt“ wähnte, eilfertig die Fähigkeiten zur Verteidigung abbaute und sich nur noch dem Krisenmanagement an der Peripherie verpflichten wollte.

 

Die unbedingte Priorisierung des internationalen Krisenmangements in den Jahren nach 2000 und der fahrlässige Abbau der verbliebenen Befähigungen zur Landes-und Bündnisfähigkeit in einer rot-grünen und schwarz-roten Koalition war eine fatale Fehlentscheidung, die in der medialen Diskussion über die Verantwortung für die Defizite viel zu wenig berücksichtigt wird.

 

Die vernachlässigte Verteidigungsfähigkeit muss nun mühsam wiedererworben und finanziert werden. Primat der Politik bedeutet auch eine Verpflichtung, alle Aspekte einer Entscheidung nach politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen, moralischen und auch militärischen Gesichtspunkten mit Sachargumenten und Blick auf die Zukunft abzuwägen und nicht nur auf Stimmungen zu schielen, die sehr schnell umschlagen können. Vor allem sollte sie nicht auf einen Primat der Politiker beim Anspruch auf Wahrheiten verengt werden. Es gilt Entscheidungen zu treffen, den Bürgern zu vermitteln und durchzusetzen. Um Entscheidungen ohne fachkundige Beratung allein zu treffen, dürfte vielen Mandatsträgern schlichtweg die Kompetenz fehlen . Bei der Wahrnehmung des Primats der Politik über das Militärische wäre zu wünschen, dass sich hier alle Ressorts und auch die Kanzlerin mit ihrer Richtlinienkompetenz wie auch das Parlament engagierter einbringen.Die Bundeswehr muss wieder Chefsache werden! Die in diesem Schlagwort geäußerte Kritik gilt nicht allein für die aktuellen Amtsinhaberin, sondern dürfte ein Defizit beschreiben. dass sich durch durch die ganze Geschichte der Bundesrepublik zieht. Da militärische Themen und Entscheidungen in der Bundesrepublik sehr unpopulär sind, meidet man gern Festlegungen in diesen Fragen.

 

....Der zurzeit in den Medien zuweilen auch als desolat überzeichnete Zustand der Streitkräfte erfordert entschlossene Führung, loyale Mitarbeiter und ein in Sachen Sicherheitspolitik ebenso kritisches, wie engagiertes und kompetentes Parlament. Hier dürften einige Fragezeichen anzubringen sein. Zwar werden angesichts der sicherheitspolitischen Lage bei NATO-Gipfeln großzügig weitere Finanzmittel zugesagt, dann aber im Kabinett beim Hickhack um den Haushalt zum Teil wieder zurückgezogen und von Koalitionspolitikern bei öffentlichen Auftritten vor der eigenen Wählerklientel in Frage gestellt. Bekenntnisse zur Bundeswehr gibt es in öffentlichen Papieren und Reden, aber deutlich weniger in öffentlich geführten Debatten  um Haushalt und politische Kursbestimmung.

 

... ein Paradebeispiel, dass der Primat der Politik  durch sachfremde Entscheidungen in der Sicherheitspolitik  von Parteipolitikern nicht immer verantwortungsvoll wahrgenommen wird,  kann im Augenblick in der SPD beobachtet werden, die in Folge eines Linksrucks vor dem Bundestagswahlkampf 2021 sich des Themas Frieden bemächtigen möchte und Grundsatzentscheidungen wie die Einführung bewaffneter Drohnen entgegen vorheriger Zusagen weiter blockiert. In der sicherheitspolitischen Fachwelt dürfte der Vorwand, es gäbe noch Diskussionsbedarf,  nur noch mit Kopfschütteln  registriert werden. Das Thema ist ausdiskutiert und bedarf einer Entscheidung. Es eignet sich allerdings trefflich als Wahlkampfmunition bei der Mobilisierung einer Wählerschaft, die man an andere Parteien im linken Spektrum verloren hat.  Die Bundeswehr im Einsatz gerät in eine nicht zu verantwortende Fähigkeitslücke gegen den Trend in fast allen Armeen und Konfliktgebieten der Welt. Der Hinweis, dass der Drohnenkrieg beim jüngsten Konflikt in Aserbeidschan eine neue Lage geschaffen habe, entbehrt jeder sachlichen Grundlage, da der Drohneneinsatz in den Konfliktgebieten der Welt schon seit Jahren realer Sachstand ist und niemand sich der Illusion hingeben sollte, dass sich diese Realität durch Rüstungskontrolle oder Parteitagsbeschlüsse und Wahlkampfauftritte aus der Welt schaffen ließe .

Der rüstungspolitische Zug ist längst in diese Richtung abgefahren. Es muss auch sachlich eingewendet werden, dass in dem Kaukasuskonflikt herkömmliche von Menschen gelenkte Drohnen eingesetzt wurden und die für pazifistische Agitation gern ins Visier genommenen, völlig autonomen Drohnen mit starker KI noch nicht verfügbar sind.  Es ist sicher kein Zufall, dass mit dem sicherheitspolitischen Sprecher der SPD, Felgentreu, nach Kahrs und Bartels der dritte Sicherheitspolitiker der Sozialdemokraten nach der Wahl der neuen Doppelspitze Borjans/Esken das Handtuch wirft. Immerhin kommt mit Siemtje Möller eine ausgewiesene sicherheitspolitisch engagierte Abgeordnete ins Amt des sicherheitspolitischen Sprechers ihrer Partei. In ersten Interviews bekannte sie sich zu den Steigerungsraten des Verteidigungsetats. Auch das Votum der vom Fraktionsvorsitzenden Mützenich ohne sicherheitspolitische Erfahrung ins Amt gehievten Wehrbeauftragten Högl für die Drohnenbewaffnung in der Bundeswehr lässt hoffen, dass es noch PolitikerInnen gibt, die sich ohne ideologische Scheuklappen  der rauhen Wirklichkeit und Sachorientierung nicht verschließen. Vielleicht gelingt es diesen verbliebenen verantwortungsvollen  Sachwaltern der Sicherheitspolitik in ihrer Partei,  Projekte auf den Weg zu bringen, welche die Nahbereichsluftabwehr gegen Drohnen verbessern und die Bundeswehr auf der defensiven Seite des Drohnenkrieges wieder wettbewerbsfähig machen.(Kommentierung J. Dreifke)

 

... Der angedachte zusätzliche Finanzbedarf für das nächste Jahrzehnt in Höhe eines kompletten Verteidigungsjahresetats ist Kompensation jahrzehntelanger Unterfinanzierung und keine ambitionierte Aufrüstungspolitik. Dem Steuerzahler sollte transparent gemacht werden, was und wofür und in welcher Zahl benötigt wird. Dies wird gern vermieden, weil dabei unvermeidlich Tabuthemen wie Krieg und Gefecht öffentlich erörtert werden müssen. Die Befähigung zum Kampf als grundlegende Konstante jedes militärischen Auftrages darf nicht verschwiegen werden! ... Die Hinwendung zur Krisenintervention in den 90er Jahren ruinierte die Fähigkeiten zur Landes -/ Bündnisverteidigung, weil die Strukturen für einen Aufwuchs über Bord geworfen wurden. Anfangs fand Krisenintervention die Zustimmung der Öffentlichkeit, die sich von humanitärer Rhetorik blenden ließ. Die Bundeswehr wurde auf die Krisenrolle zugeschnitten, auch als Preis für eine neue Rolle Deutschlands in der Weltpolitik. Als die aufwuchsfähige Wehrpflichtarmee verschwand, entfiel auch die rechtliche Grundlage der Dienstpflicht. Wer die Wiedereinführung der Wehrpflicht will, muss in Wirklichkeit die Rückkehr zur Aufwuchsarmee fordern! In der aktuellen Struktur macht Wehrpflicht keinen Sinn! ….


Ohne soliden finanziellen Unterbau kann der militärische Auftrag nicht erfüllt werden. Der Anteil der Verteidigungshaushalte am Bruttoinlandsprodukt sagt aber noch nichts über die erbrachten Fähigkeiten für das Bündnis aus. Die Struktur der Haushalte hängt auch von den nationalen Sicherheitstraditionen ab. Am Ende zählt nur, welche Mittel konkret dem Bündnis zu gute kommen. ….  Jahrzehntelang gab es keine grundlegenden Unterschiede in den verteidigungspolitischen
Ansichten der „Volksparteien“. Mit dem Schwinden der Volksparteien und dem Trend zu Richtungsparteien, die durch ihre populären Lieblingsthemen geprägt werden, entfällt der Zwang, das ungeliebte Feld der Sicherheitspolitik zu bedienen. …. Eine Umsetzung des Programms würde einen jährlichen Verteidigungsetat von 55 - 60 Milliarden erfordern. Offen bleibt die Frage, ob Gesellschaft, Parteien und Parlament diese Pläne mittragen werden und die Aufstockung auf über 200.000 Soldaten gelingt. Der Vorschlag, durch ein Bundeswehrverstärkungsgesetz eine langfristige Selbstverpflichtung des Parlaments für die Sicherheitspolitik zu schaffen, fand leider kein Gehör. Unserer Politik und Gesellschaft fällt es schwer, Sicherheitspolitik, Klimapolitik, Sozialpolitik, Bildung, Ökonomie und technologischen Fortschritt als gleichwertige Zukunftsaufgaben in der Balance zu halten! Vor der Pandemie richtete sich der Blick vor allem auf eine drohende Klimakatastrophe und in dem Bereich besteht ohne Zweifel hoher Handlungsbedarf! Das darf aber nicht Scheuklappen gegenüber den Herausforderungen für Frieden und Sicherheit aufrichten. Ein sicherheitspolitischer Crash kann durchaus eher eintreten als der Klima-Crash! Dann stehen alle anderen Fortschritte in den von uns bevorzugten zivilen Politikfeldern ebenfalls in Frage: "Ohne Frieden ist alles nichts!"(s.o.)

Es wäre ungerecht, die schwierige Lage der Bundeswehr, wie sie sich in den Medien spiegelt, allein der Truppe  anzulasten. Hauptverantwortung tragen Politiker und Parlamentarier, die immer die Grundsatzentscheidungen für Strukturen und Ressourcenverteilung getroffen haben. Der militärischen Führung ist vorzuwerfen, grundlegende Bedenken nicht entschlossen vorgetragen zu haben. Nach der von Scharping mit großen Erwartungen verkündeten  grundlegenden Erneuerung der Bundeswehr wurde in der Ära Struck und Jung der Paradigmenwechsel zu Auslandseinsätzen konsequent umgesetzt und noch vorhandene Strukturen zur Landes- und Bündnisverteidigung aus früheren Jahren abgebaut. Nur zu sehr bestimmte der enge Etat die mit hohem rhetorischen Aufwand publizierte "Transformation", bei der ständig neue "Reformen" nachgelegt wurden, bevor die aktuelle Strukturreform abgeschlossen war. Reform bedeutete de facto Reduzierung. Unter dem Eindruck der Finanzkrise sagte Minister Guttenberg große Sparleistungen seines Ressorts zu, die sein Nachfolger de Maizière in die im Augenblick noch gültige Struktur umsetzte. Quasi über Nacht wurde die Wehrpflicht ausgesetzt, nachdem durch die Strukturveränderungen und Abkehr von der Landesverteidigung ihre Geschäftsgrundlage weggefallen war.  Die unzureichende Ausstattung mit Gerät und Vorräten wurde in der Struktur nach 2011 bewusst in Kauf genommen und war Teil des Konzepts. Die Inspekteure der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche haben diese Vorgaben ohne sichtbare Widerstände akzeptiert und umgesetzt. Dies geschah, obwohl die Sicherheitslage in Europa sich seit 2008 verschlechterte und die NATO mit Zustimmung der Bundesregierung eine Neubewertung der Bündnisverteidigung vorgenommen hatte. Die ehemalige Ministerin von der Leyen hat sich um eine Trendwende bemüht, allerdings auch viel publizistischen Aufwand für nachrangige Themen, wie Attraktivitätssteigerung und Traditionspflege, betrieben, was von der eigentlichen Schwerpunktaufgabe der Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit ablenkte. In der Tat sind die Mittel für den Verteidigungshaushalt in der Haushaltsplanung des Bundes in den letzten Jahren kräftig gestiegen. Dieser Trend muss trotz aller Belastungen durch Epidemie, Folgekosten des Ausstiegs aus der fossilen Energie und Sozialpolitik fortgesetzt werden. Vor allem gilt es, diese Mittel effizient einzusetzen. Da ist die Beschaffungspolitik häufig in arger Bedrängnis, wenn sich Projekte verzögern bzw. Mittel nicht abgerufen werden können....

    mehr lesen