Bevölkerungsschutz:
Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren ist eine der vornehmsten Aufgaben des modernen Staates. Die bestehenden Vorhaltungen der Länder und des Bundes in den Bereichen Brandschutz, Rettungsdienst, Katastrophenschutz, Technisches Hilfswerk, die bestehenden gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen der Länder im Bereich Katastrophenschutz und Sicherheitsrecht, die Regelungen zur Hilfeleistung der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes (Anm.: heute Bundespolizei) bei großen Schadenereignissen und vieles andere mehr gewährleisten in Deutschland ein funktionierendes System zur Bewältigung von Schadenereignissen nahezu aller bis zum 11. September 2001 bekannten Dimensionen. Dieses System bewährt sich täglich in einer Vielzahl von Einsätzen aller Art bis hin zur Bewältigung von Großschadenereignissen und Katastrophen. (Die neue Strategie zum Schutz Deutschlands, Schriftenreihe AKNZ, Bd 4, 2002,S 57)
Die Feststellungen zu einem Ist-Zustand, dem wir uns grundsätzlich anvertrauen können, dürfen jedoch nicht der Maßstab sein, an dem das künftig Notwendige auszurichten ist.Vielmehr müssen wir uns fragen, ob wir dem standhalten können, was wir noch nicht kennengelernt und erlebt haben, das jedoch geschehen kann und in wirklich bedeutsamer Ausprägung uns auf allen Ebenen und in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft außerordentlich fordern wird. (Magenheimer, Bevölkerungsschutz in D., 2008 , S. 269).
Die Erfahrungen in den letzten Jahrtzehnten haben immer wieder gezeigt, dass auch das Undenkbare möglich ist (9/11, Corona) und Staat und Gesellschaft bei mangelnder Risikovorsorge aus dem Lot geraten könnten. Leider werden Mahnung dieser Art in guten Zeiten gerne überhört und in den Wind geschlagen.
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Zu einem Markenzeichen des Bevölkerungsschutzes ist die regelmäßige Übungsserie LÜKEX geworden. LÜKEX ist die Abkürzung für „länderübergreifende Krisenmanagementexercise.“ Dahinter verbirgt sich eine Übungsserie, in der nationale Gefahrenlagen für den Bevö
lkerungsschutz in „Stabsrahmenübungen“ durchgespielt werden. Diese Übungen wurden mit der„neuen Strategie des Bev
ölkerungsschutzes“ der Innenministerkonferenz im Jahre 2002 ins Leben gerufen, nachdem die früheren legendären militärischen Planübungen (WINTEX) am Ende des Kalten Krieges als nicht mehr zeitgemäß abgeschafft worden waren. Mit der Neubewertung der Risiken von Großschadenslagen durch die Hochwasserkatastrophen und den Anschlag auf das World Trade Center erkannten die für den Bev
ölkerungsschutz als Katastrophenschutz im Frieden verantwortlichen Innenminister der Länder und des Bundes einen erhö
hten Planungsbedarf bei der Vorbereitung auf solche Ereignisse. In regelmäßigen Abständen üben mehrere Tage lang bundesweit ausgewählte Krisenstäbe von Beh
örden mit den verschiedensten Partnern aus den Hilfsorganisationen ,medizinischen Einrichtungen, der Bundeswehr und der Wirtschaft angenommene Schadensereignisse, die eine große Zahl von Bürgern betreffen k
önnten und einen außerordentlichen Organisationsbedarf für das Krisenmanagement haben kö
nnen. Neben den natürlichen Partnern in Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten kommen als Übungspartner vor allem Wirtschaftsunternehmen in Frage, die „kritische Strukturen“ mit großer Verwundbarkeit betreiben (Energieversorger, Chemieindustrie, Deutsche Bahn) oder einen wichtigen Beitrag zur Schadensbekämpfung leisten k
önnen (z.B. Lebensmittel- versorgungsketten). Als im Vorfeld der Fuball-WM 2006 Terroranschläge bei Großveranstaltungen im Mittelpunkt des Übungsgeschehens von LÜKEX standen, war auch der Deutsche Fuballbund beteiligt. Auch Lebensmittelversorgungsketten haben schon wegen ihren Systemrelevanz mitgeübt. Bei LÜKEX kö
nnen bis zu 3000 Übungsteilnehmer eingebunden werden. Die Bewältigung einer Serie von verschiedenen Schadensereignissen in ganz Deutschland in wenigen Tagen dürfte in der Realität so nicht vorkommen, schafft aber durch die Ereignisdichte einen enormen Handlungsdruck mit großem Übungseffekt für die im Ernstfall verantwortlichen Entscheidungsträger. Durch diese im ganzen Bundesgebiet angenommenen Schadensereignisse will man sicherstellen, dass m
öglichst viele Verantwortungstrger einbezogen und „beübt“ werden kö
nnen. Eine große Rolle spielt dabei auch die Krisenkommunikation durch eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit, damit die Bürger sich angemessen verhalten kö
nnen und zur Schadensbewältigung beitragen. Die verantwortlichen Handlungsträger werden auch durch Einlagen von simulierten Presseprodukten gezielt unter Druck gesetzt, z.B. durch eine Übungszeitung, die nach dem Vorbild der Bild-Zeitung gestaltet wird. An die Planübung k
önnen auch Übungen mit Katastrophenschutzeinheiten angehängt werden, so dass auch „Truppe“ zum Einsatz kommt. Das war z.B. in diesem Jahr (2010) der Fall, als auf dem Flugplatz K
öln-Wahn ein Anschlag auf eine Flugzeug, eine Geiselnahme und der Einsatz radiologischer Mittel angenommen wurde. Die Rettungskräfte wurden durch die mimenden Übungsverletzten, darunter auch Reservisten, enorm unter Druck gesetzt. Schwerpunkte von LÜKEX in den vergangenen Jahren waren Terroranschläge bei Großveranstaltungen, Pandemien und Stromausfälle. Die letzteren gelten als besonders gefürchtetes Schadensgroßereignis, das ein Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend in Frage stellt. Bei LÜKEX 2010 waren an mehreren Orten der Bundesrepublik erfolgreiche oder versuchte Anschläge mit radiologischem Material angenommen worden. Die Projektleitung für LÜKEX liegt beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn. Von besonderem Wert ist dabei die Vorbereitung auf die Übung in Planbesprechungen, bei der sich viele im Ernstfall auf Zusammenarbeit angewiesene Organisationen kennen lernen und ihre Kontakte auch nach der Übung weiter pflegen. Im Rahmen der Übung werden Arbeitsgruppen (Worksshops) gebildet, die sich mit Spezialproblemen befassen (z.B. Zweitanschlagsproblematik, Erkennen von Kampfstoffen etc. und Lösungen entwickeln. Aus den Übungsergebnissen werden Erkenntnisse gewonnen und dokumentiert, die für künftige Übungen und reale Großschadensereignisse von Wert sind.
Weitere Info vermitteln verschiedende Grafiken zum Bevölkerungsschutz im Menü "Sipo in Grafiken" , die im Folgeteil noch ausgeführt werden sollen. Diese Erläuterungen dazu beruhen vor allem auf Magenheimer,Bevölkerungsschutz in D., 2008 .
Die Grafiken beginnen mit einem Poster Bevölkerungsschutz und einer Folie Potenzial Bevölkerungsschutz: Die Mehrzahl des Personals im Bevölkerungsschutz ist ehrenamtlich tätig und in zahlreichen Organisationen aktiv. Durch die große Zahl der Ehrenamtlichen standen für den Bevölkerungsschutz im vorigen Jahrzehnt ca. 2 % der Bevölkerung zur Verfügung. Diese stehen in abgestufter Präsenz in relativ kurzer Zeit bereit. An der Spitze rangieren die Kräfte der Feuerwehren, denen eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Schadenslagen der "nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr" zufällt. DRK, Malteser, Johanniter, Arbeitersamariterbund und Deutsche Lebensrettunggesellschaft stellen über die Hälfte der 1,8 Millionen Helfer und tragen mit vielen allgemeinen und speziellen Fähigkeiten zum Bevölkerungsschutz bei. Als Sonderfall muss man das Technische Hilfswerk nennen, das eine Bundesorganisation darstellt. Der Katastrophenschutz im Frieden ist Sache der Ländern und Kommunen. Der Bund hätte nur für den Zivilschutz im Verteidigungsfall die zentrale Kompetenz. Er hat dabei auf die früher einmal vorhandenen eigenen Organisationsstrukturen und Kräfte für den Zivilschutz verzichtet und setzt auf eine Doppelnutzung der Potentiale für den Zivil- und Katastrophenschutz, die er mit der sogenannten Bundesergänzung materiell bei der Ausstattung unterstützt. Die Verteilung der Kompetenzen im Bevölkerungsschutz zwischen Bund und Ländern aufgrund der Auslegung des Grundgesetzes wird in Fachkreisen diskutiert, vor allem von den Ländern aber hartnäckig verteidigt. Der Regelfall sind Katastrophen- und Unglücksfälle in Friedenszeiten, die von den Behörden der Länder, Landkreise und kreisfreien Städten zu bewältigen sind und bei denen der Bund Unterstützungsleistungen bereit hält und die Kräfte der Bundeswehr und Bundespolizei auf Anfrage als Amtshilfe zur Verfügung stellen kann. Das auf Bundesebene organisierteTHWmuss man ebenfalls dem Potential des Bundes hinzurechnen. Der Zivilschutz im Falle eines eindeutig definierten Angriffs durch einen feindlichen Aggressors entsprach den Szenarien vor 1990 und war nur in der Planung existent und keine gelebte Wirklichkeit. Die Risikowahrnehmung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten verändert. Die sogenannten asymmetrischen Bedrohungen und nichtstaatliche Akteure (Terroristen) haben ein enormes Schadenspotential und lassen keine klare Unterscheidung zwischen dem Zustand von Krieg und Frieden mehr zu. Hybride Konfliktbilder bei denen staatliche oder nichtstaatliche Akteure eine empfindliche Gesellschaft destabiliseren und mit Desinformation in neuen Medien und Hackerangriffen im Cyberraum in ihrer Kohäsion und Funktionsfägigkeit stören können, müssen nicht nur Bevölkerungsschützer beunruhigen. Dazu kommen die latenten Risiken durch Nutzung der Kernenergie oder befürchtete Anschläge mit biologischen und chemischen Kampfstoffe. Die hohe nationale Gefährdung erfordert hier eigentlich mehr zentralstaatliches Handeln durch den Bund. Es gab 2009 gesetzliche Anpassungen, welche die Zuständigkeiten des Bundes bei der Koordination und Unterstützung stärken, eine grundsätzliche Bundeskompetenz aber weiterhin nicht vorsehen. Als koordinierende und unterstützende, nicht führende (!) Einrichtung fungiert die Bundesanstalt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe BBK in Bonn-Lengsdorf. Einige der Bundesaufgaben werden in den Grafiken zum Zivilschutzgesetz 2009 und zu Begriffen des Bevölkerungsschutzes genannt. Zentrales Leitgremium für die Koordination des Bevölkerungsschutzes, der als Sammelbgriff den Zivilschutz des Bundes und Katastrophenschutz der Länder gleichermaßenumfasst, bleibt die Innenministerkonferenz. Die BBK betreibt ein gemeinsames Melde- und Lagezentrum GMLZ und entwickelt schon seit Jahrzehnten in einer Akademie in Ahrweiler (AKNZ) Konzeptionen und schult dort die Kräfte der Länder und Kommunen. Einige gesetzliche Initiativen haben auch dafür gesorgt, dass die Betreiber von kritischen Infrastrukturen Gefahren und Gegenmaßnahmen in einem Basisschutzkonzept analysieren und Vorsorge für erkannte Risiken treffen. Störfälle werden einheitlich durch Eingreifrichtwerte und Störfallverordnungen definiert. Eine Reihe von Führungsinformationssystemen stellt auf Bundesebene Daten für Risikobewertung und Hilfeleistungen zur Verfügung (deNIS, TUIS, Schutzdatenatlas).Bei den Risiken durch chemische, radiologische, nukleare und chemische Waffen CRBN (u.a. durch radioaktive Verseuchungmit "schmutzigen" Bomben) sind zuerst einmal die in der Fläche sehr zahlreich aufgestellten Spezialkräfte der kommunalen Feuerwehren für Analyse, Aufklärung und Dekontamination gefordert (s. ABC-Schutz Vorführung Feuerwehr Mönchengladbach). Die ABC-Abwehrtruppe der Bundeswehr unterstützt mit ihre fachlich hoch stehenden Labor- und Ausrüstungsexpertise (wie unlängst bei der Analyse im Fall des Anschlages auf den russischen Regimekritiker Nawalny) kann aber nur begrenzt Einsatzkräfte abzweigen, die primär dem Eigenschutz der Truppe dienen (künftig drei teilaktive Regimenter) und über leistungsfähiges Spezialgerät für Aufklärung und Dekontamination verfügen. Wie überall bei der Amtshilfe im Katastrophenschutz kann die Bundeswehr in Schwerpunkten auch Hilfskräfte ablösen, die in ihrem ehrenamtlichen Engagement schnell vor Ort präsent sind, aber über die Zeitachse nicht im Dauereinsatz stehen können. Ungeachtet aller staatlichen Vorkehrungen muss eine robuste Gesellschaft (Resilienz) auch auf die Eigeninitiative und Selbsthilfe aufgeklärter und informierter Bürger setzen. Ein allumfassender jeden Eventual- und Einzelfall abdeckender Bevölkerungschutz würde die Ressourcen überstrapazieren und im Vorsorgekonkurs (Magenheimer) enden. Die Kräfte des Bevölkerungsschutzes müssen dabei auch die Kommunikation mit den Bürgern vor und dann vor allem während einer Katastrophe in Betracht ziehen, damit die betroffene Gesellschaft stabil (robust) bleibt und die Hilfe effizient eingesetzt werden kann. Risikommunikation ist deshalb ein wichtiger Bestandteil von Planübungen, von denen hier vor allem die Übungsserie LÜKEX zu nennen ist, mit deren Erläuterung dieser Beitrag (s.o.) begonnen hat.